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13.04.2005, Turin,
Delle Alpi:
Juventus
- Liverpool
0:0
Teil 3
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Das Stadion -
anderthalb Stunden vorm Anpfiff noch leer - füllte sich dann noch bis auf
55.000 Zuschauer, war aber bei weitem nicht ausverkauft. |
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Eine Episode an Rande: Am gut
vergitterten Imbißstand war vor mir ein etwas 20jähriger an der Reihe. Er
bestellte 2 Flaschen Wasser, der Verkäufer reichte sie ihm und nannte den Preis.
Darauf verlangte der Fan noch einen Riegel Kit-Kat. Der Verkäufer machte den
Schritt in die Ecke seiner Bude, holte den Schokoriegel, drehte sich wieder
um... und war verduzt: Diese 3 Sekunden reichten dem Fan, um blitzschnell wieder
im Block unterzutauchen und so den Preis für seine Wasserflaschen auf Null zu
schrauben. Von da an gab der Verkäufer die Waren erst nach der Bezahlung durch
die Luke.
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In der
benachbarten Nordkurve hüpften zahlreiche Tifosi herum, die anfangs mit
wilden Gesten und Brüllereien ihre Gäste begrüßten. Es dauerte nicht lange,
bis sie auch Getränke ausschenkten.
Es war aber unangebracht und stillos
1. Wasser zu reichen und
2. dies in Plasteflaschen durch die Luft zu befördern. |
Die Liverpooler
Fraktion erwiderte natürlich die netten Gesten, so daß sich ein regelrechter
Dialog entwickelte. Leider verhinderten erst ein Metallzaun und eine
Plexiglaswand, später auch Polizisten direkte Kontaktaufnahmen. Dabei gingen die
Ordnungshüter recht maßvoll vor und vermieden jegliche Knüppelaktionen. Die
englischen Fans kamen auch ziemlich gelassen den Aufforderungen, den Zaun zu
verlassen, nach. Wie schon vorstehend erwähnt, bestand beiderseitig ein gewisses
Maß Respekt, daß Kloppereien verhinderte. |
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Irgendwann kamen
die Mannschaften ins Stadion und das Hauptinteresse beider Fanlager widmete sich
dem grünen Rasen. Und wieder einmal konnte ich feststellen, daß die
Eröffnungszeremonie bei Champions-League-Spielen kein Stimmungsbringer ist, im
Gegenteil.
Was die Heimfans für einen tollen Support hinlegen können, zeigten sie
gleich zu Spielbeginn: ...
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... Beide Kurven begannen zu
hüpfen und lautstark zu singen, so daß das gesamte Stadion wie bei einem
Erdbeben vibrierte.
Mit etlichen Zaunfahnen und einem langen Spruchband über die gesamte Kurva Sud
wurde an die 39 Opfer von 1985 erinnert.
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Juve versuchte, sofort Druck zu
machen, aber außer einer Großchance für Ibrahimovic gab es nichts Aufregendes.
Liverpool stand sicher und so passierte lange Zeit in der ersten Halbzeit
einfach nichts.
Mir war es recht, denn ein Unentschieden würde ja nach dem 2:1 im Hinspiele
ausreichen. |
Liverpooler Angriffsversuche
fanden zumeist sehr bedächtig statt, die Reds waren sehr darauf bedacht, das
Tempo aus dem Spiel zu nehmen. Und kam doch mal ein schneller langer Ball auf
die einzige Spitze Baros, reagierte der nicht, sondern trabte völlig
desinteressiert durch die Gegend.
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Der Support der Gäste kam im
Stadion auch gut rüber, denn die Italiener reagierten prompt auf die lauten
Gesänge mit einem anfangs ohrenbetäubenden Pfeifenkonzert. Mit der Zeit wurden
die Tifosi immer unzufriedener mit ihrem Team und Support und Pfiffe wurden
deutlich leiser. |
Freundlicher wurde die Stimmung
aber trotzdem nicht. Nach wie vor war die Luft flaschen- und metallhaltig und so
mußte man trotz des laufenden Spiels mit einem halben Auge immer den Luftraum
beobachten, um heranfliegenden Flaschen, Stöcken, Sitzschalen, Metallkugeln und
anderen Gegenständen auszuweichen. In der Halbzeitpause eskalierte es in der
Nordkurve derart, daß die Polizei sogar dort einrückte, allerdings mit der
gleichen Halbherzigkeit agierte wie die Ordner.
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Und spätestens bei nebenstehend
ungewollt erhaltenen Souvenirs hörte der Spaß auf.
Wenn sich Leute Auge in Auge für eine Auseinandersetzung gegenüberstehen, ist
das eine Sache. Wenn aber so 'n Zeugs blindlings in einen Block geworfen wird,
in dem Leute dicht gedrängt stehen und sich auch Frauen und Kinder befinden, ist
das feiger Wahnsinn! Dann kann ich den Italienern nur mit ihrem Lieblingswort
antworten: "BASTARDI!!!"
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"Vi odio", "Odio
Liverpool", "Odio Beatles" (odio = Haß) wurde nicht nur auf den Doppelhaltern
verkündet, Liverpool und seinen Fans schlug an diesem Tag in Turin tatsächlich
der blanke Haß entgegen.
Und da durften sich die Italiener auch nicht beschweren, daß der Gästeblock dann
auf Grund des ununterbrochenen Bombardements mit "Heysel, Heysel, Heysel" und
"Push the wall, push the wall" antwortete.
Und hätten sich die Absperrungen in Luft aufgelöst, hätten sie Juve-Ultras von
Leuten den Frack vollbekommen, die zumeist doppelt so alt wie sie gewesen wären.
Die Altersgruppe von etwa 35 bis 50 Jahren dominierte im Liverpool-Block den
"aktiven" Teil.
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Ungefähr ab der 75. Spielminute
legte sich im Liverpooler Fanblock allmählich die bis dahin mit beiden Händen
greifbare Angst vor dem Gegentor, das das Ausscheiden aus der Champions League
bedeutet hätte. Die vorher gewiß nicht leisen Gesänge wurden immer lauter, immer
selbstbewußter und in den letzten 10 Minuten dominierten die Roten akustisch das
"Delle Alpi". |
Und als der Referee nach drei
scheinbar endlosen Nachspielminuten abpfiff, explodierte der Gästeblock: "Yoooouuuuu'll
neeeever waaaaalk aloooone!" (Video,
3,5 MB) und "We shall not be move" (Video,
2,4 MB) übertönten alles andere in der Betonschüssel.
Zum Abschied gab es aus der Nordkurve neben
dem Üblichen noch paar Leuchtraketen in den Gästeblock. Liverpool antwortete
mit einem "Arrivederci"-Sprechchor und "Who the fucking hell are you". |
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Nach dem Spiel konnte die
Mannschaft noch ausgiebig beim Auslaufen betrachtet und gefeiert werden... |
..., denn wir mußten bis kurz
vor 23.45 Uhr - also über eine Stunde nach Abpfiff - im Gästeblock bleiben. |
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Doch auch die
lange Warterei nahmen die Liverpool-Fans dank der vorher getankten Glückshormone
locker und gelassen hin. Das Verhältnis zur Ordnungsmacht blieb ungetrübt.
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Genau um Mitternacht rollte ich
dann vom Parkplatz. Meinen ursprünglichen Plan, es noch bis in die Schweiz zu
schaffen, mußte ich angesichts des riesigen Staus auf der Autobahn Turin-Mailand
aufgeben und ich verlegte mein Nachtquartier auf die nächste Raststätte. Die war
rammelvoll mit frustrierten Tifosi, so daß ich mich beglückwünschte, unterwegs
im Auto das rote Trikot doch wieder ausgezogen zu haben.
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Und nach wenigen Stunden tiefem,
ungestörtem Schlaf in meinem rollenden schwedischen Hotel startete ich dann früh
gegen viertel 7 von einer leeren, müllübersäten Raststätte. Das Frühstück in
Bellinzona (CH) war die einzige längere Unterbrechung auf dem Heimweg, so daß
ich bereits 15 Uhr - exakt 36 Stunden nach dem Start - wieder zu Hause war. Zwar
etwas müde und geschafft, aber trotzdem glücklich und zufrieden.
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Weil mir die "Reds" am
Mittwochabend so viel Freude bereitet hatten, war ich auch am Donnerstag bei den
Roten: beim Prominententalk mit Gregor Gysi im "Stadtpark" Frankenberg.
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Alle Fotos:
U. Kaiser (C) 2005
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